Eveline
"Entspannte Eltern, entspannte Kinder!"
Aktualisiert: 16. Aug.

Wenn ich eines am Mama-Sein wirklich und so richtig liebe, dann sind es diese als "ultimative Wahrheit" getarnten Bullshit-Sätze, die einem immer und immer wieder ungefragt und wahllos vor den Latz geknallt werden. Denn das perfide an ihnen ist: Am Anfang riecht man den Braten oft noch nicht - und glaubt sie einfach.
Denn sie lesen sich nicht selten ja auch wirklich wunderschön und vor allem: Sie klingen ja auch verdammt logisch! Was daran liegen mag, dass manchmal in ihnen natürlich auch ein wahrer Kern versteckt ist. Vor allem aber: Sie beinhalten meist ein subtiles Versprechen: ALLES WIRD GUT! Wenn du nur alles richtig machst, dann läuft das schon. DU hast es in der Hand!
Tja schöne Scheiße.
Denn schwups - schon ist es passiert: Ohne es zu bemerken und wirklich zu wollen ist man diesen hinterhältigen Biestern auf den Leim gegangen. Einfach, weil man sie ja auch so gerne glauben MÖCHTE. Früher oder später explodiert die Sache dann wie bei einer riesigen Überraschungstorte: Es macht bumm und scheinbar aus dem Nichts springt dir das schlechte Gewissen als ungebetener Gast mit lautem "Tadaa", debilem Grinsen und lächerlicher Verkleidung auf deiner Party namens Leben mitten ins Gesicht. Na super.
Und wie das mit fiesen kleinen Biestern so ist: Man muss sie genau kennen, um ihnen gekonnt ausweichen zu können. Also widmen wir uns in den nächsten Steady-Texten genau all diesen miesen, kleinen Sätzen. Und heute *imaginärer Trommelwirbel* , Ladies and Gentleman!, macht den Anfang:
"Entspannte Eltern, entspannte Kinder!"
Was hatte ich diesen Satz bevor ich ein Kind hatte verinnerlicht! Ich war felsenfest davon überzeugt, dass er einfach stimmen musste. Klingt ja auch so verdammt plausibel: Schließlich kennen wir das alle, wenn unser Partner über Tage mal so eine richtig Scheißlaune hat: Da kann man selbst gut gelaunt sein, wie man will, früher oder später, kriegt man allein schon vom Zusehen selbst eine Scheißlaune. Nix zu machen.
Und jetzt stellen wir uns das alle mit einem Baby vor, dass man nicht mal eben einfach mit dem Satz: "Ich mach heute Abend mal was alleine!" grummelig auf dem Sofa sitzen lassen kann...
Ich war also ziemlich anfällig für die subtile Versprechung, die in diesem Satz steckt: Dass, wenn ich doch nur entspannt genug sei, mein Kind das Chillerbaby schlechthin werden würde, dem die Sonne permanent aus dem Allerwertesten scheint.
Tja und dann wurde ich Mutter.
Und Überraschung: Plötzlich erwies sich dieser fest in mir verankerte Glaubenssatz als hinterhältiger Verräter. Denn auch wenn im Grunde natürlich eine Wahrheit dahintersteckt und es sicher nicht von der Hand zu weisen ist, dass man als Elternteil durchaus einen Einfluss darauf hat, wie sich die Stimmung eines Babys entwickelt - Stichwort: "Co-Regulation" - was er (wie so viele andere dieser "Weisheiten") natürlich nicht berücksichtigt ist die simple Tatsache, dass eben auch schon Babys mit einem ganz eigenen Charakter auf die Welt kommen. Und dass diese Ausprägungen des Charakters genauso wie andere Vorbedingungen, Störungen etc. natürlich keinesfalls durch entspannte Eltern "ausgebügelt" werden können.
So entspann sich bei uns ein Teufelskreislauf: Mein Baby weinte viel, dadurch war ich gestresst und hatte nicht die innere Ruhe sie zu beruhigen und sie weinte noch mehr bis ich es irgendwann doch schaffte. Beim nächsten Mal war ich NOCH gestresster in banger Erwartung dessen, was auf mich zukommen würde und das wirkte sich natürlich nicht unbedingt positiv aus.
ABER: Selbst, wenn ich die entspannteste Mutter dieser Erde gewesen wäre - es hätte nicht verhindert, dass mein Kind überdurchschnittlich viel weinte und unzufrieden wirkte. Vielleicht hätte ich einige dieser Weinanfälle schneller beruhigen können, das sicher. Aber verhindern? Völlig unmöglich. Und nebenbei gesagt: Auch ziemlich toxisch! Denn es legt die komplette Verantwortung für das Verhalten des Kindes auf die Eltern. So als wären Kinder nichts weiter als ein formbarer Klumpen Ton und wenn die daraus entstehende Vase eben leider nicht perfekt wird sondern ein paar Macken aufweist - ja dann hast du dich halt einfach nur scheiße angestellt!
Und das ist absoluter Blödsinn!
Denn auch, wenn wir mit unserem Verhalten und unseren Reaktionen natürlich einen Einfluss darauf haben, wie unsere Kinder sich verhalten - wir sind eben nicht der einzige ausschlaggebende Punkt.
Wir können durch ruhig Bleiben, eine entspannte Haltung und nicht mehr Regeln als nötig vielleicht dafür sorgen, dass Wutanfälle schneller vorbei sind, weinende Babys sich schneller beruhigen oder stressige Sitationen manchmal tatsächlich auch gar nicht erst auftreten. Aber wir haben es eben nicht komplett in der Hand.
Und vor allem: Wir sind eben selbst auch nur Menschen. Übermüdet. Mit Kopfschmerzen. Gestresst. Und irgendwann auch mal selbst am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Wir verlangen uns heute so viel MEHR ab in unserer Elternrolle als das die Generationen vor uns taten - und vieles davon ist eindeutig positiv! Manches aber auch einfach nur utopisch und anmaßend. Wir haben es nicht komplett in der Hand wie sich unsere Kinder entwickeln, was sie werden. Wir können sie nicht formen, wie einen inhaltslosen Klumpen Ton. Wir können sie lediglich an die Hand nehmen und versuchen sie dabei zu unterstützen der Mensch zu werden, der sie sein wollen und können.
Wir können und DÜRFEN uns Fehler erlauben!
Deshalb - genau deshalb! - müssen solche Sätze ins geistige Altpapier. Weil sie unnötigen Druck aufbauen und uns blockieren - und uns dadurch davon abhalten unsere Elternschaft WIRKLICH bestmöglichst leben zu können.