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  • AutorenbildEveline

"Es ist alles eine Phase"

ist irgendwie das inoffizielle Mantra aller Eltern. Ich selbst habe diesen Satz gefühlt bestimmt schon tausend Mal gesagt in den fünf Jahren seit ich Mutter bin. Zu mir selbst, zu meinem Mann, zu anderen erschöpften Eltern, die der eigene Nachwuchs gerade in den Wahnsinn trieb.

Dieser Satz kann unheimlich tröstend und verbindend sein. Tröstend dann, wenn er einem ehrlichen Mitgefühl entspringt, verbunden mit der geteilten Erfahrung, dass man Ähnliches auch selbst schon durchlebt hat - oder gerade noch erlebt.


Er kann uns Hoffnung spenden - Hoffnung darauf, dass das Verhalten unseres Kindes, das uns gerade zur Verzweiflug bringt, bald ein Ende haben wird. Phase vorbei - überlebt. Hurra! Einmal durchatmen bitte!


Genau derselbe Satz kann aber auch für unheimliche Verunsicherung sorgen.


Nämlich dann, wenn er zum Dogma wird. Wenn die "Phasen" plötzlich standardisiert und normiert zur Messlatte werden. Wenn plötzlich erwartet wird, dass alle Kinder zur selben Zeit das selbe Verhalten zeigen und dieses exakt für Zeitspanne X anhält, bevor die Phase überstanden ist, dann öffnet das der Verzweiflung Tür und Tor.

Nämlich bei all denen, deren Kinder eben nicht nach der normierten Zeitspanne wieder "entspannt" und "normal" werden. Bei all denen, bei denen Kinder nach der entsprechenden Phase eben nicht plötzlich dieselbe neue Fähigkeit haben wie "alle anderen" Kinder. Und bei all denen, bei denen sich gefühlt eine Phase nahtlos an die andere reiht und die händeringend nach der angeblich entspannten Zeitspanne dazwischen suchen, in der alles einfacher wird - sie aber einfach nicht finden.


Ich war eine von diesen Müttern. Mit Augenringen bis zu den Knien kaufte ich mir recht bald nach der Geburt, das hochgelobte Standardwerk unter jungen Eltern:


Oje, ich wachse!


Ich versprach mir von dem allseits gepriesenen Buch endlich eine Erklärung dafür, warum mein Kind so war wie es war. Irgendwann ab Kapitel 3 überblätterte ich den Text fast nur noch, da er sich gefühlt dauerhaft mit demselben Wortlaut wiederholte und schaute nur noch auf die Tabellen mit potenziellen neuen Fähigkeiten und Länge und Zeitpunkt der Entwicklungsschübe. Jedes Mal wenn wir im Schub waren und das Kind nun wieder unruhiger schlief und besonders quengelig wirkte, rechnete ich die Tage aus, die es noch dauern würde, bis diese Phase endlich überstanden wäre und die entspannten Tage kämen.

Jedes Mal stellte ich enttäuscht fest, dass die Entspannung einfach nicht eintrat. Jedenfalls nicht wesentlich. Wir schwankten immer zwischen ziemlich anstrengend und mörderisch anstrengend. Die Phasen, die ich zu erkennen glaubte, gingen wesentlich länger als im Buch beschrieben - nicht selten gingen sie einfach nahtlos ineinander über. Die angeblich möglichen neuen Fähigkeiten waren jenseits von utopisch und rangen mir irgendwann nur noch ein müdes Lächeln ab. Irgendwann verstaubte das Buch letztendlich im Regal und ich ergab mich meinem Schicksal.


Was ich dem Buch allerdings zu Gute halten muss:


Es hat mich dafür sensibilisiert, dass es solche Entwicklungsschübe überhaupt gibt. Dass überproportionale Anhänglichkeit, Unzufriedenheit und Unruhe Begleiterscheinungen dessen sein können, dass sich für das Kind die Welt plötzlich verschiebt und gefühlt nichts mehr so recht zusammen passen mag. Dass all das normal ist, und dass es irgendwann wieder vorbeigeht und das Kind dann plötzlich ganz neue Fähigkeiten entwickelt hat.

Auf der anderen Seite hat mir das Festhalten an den dort beschriebenen Zeiträumen unnötige Enttäuschungen beschert. Es hat mich zeitweise unentspannter gemacht als nötig - einfach weil ich so sehr damit beschäftigt war, darauf zu warten, dass die angebliche Phase endlich endete, anstatt es einfach zu akzeptieren wie es eben war. Weil es mich dazu verführt hat, nach einer Norm zu suchen und unweigerlich daran zu scheitern, anstatt einfach mein Kind zu beobachten als das einzigartige Wesen das sie ist.

Auch hier liegt die Wahrheit - wie immer - irgendwo in der Mitte. Ganz offensichtlich gibt es bestimmte Zeiträume im Aufwachsen der Kinder, in denen ihr Gehirn gewisse Entwicklungssprünge macht. Ganz offensichtlich gleichen sich diese bei den meisten Kindern grob (plus/minus ein paar Wochen/Monate). Ganz offensichtlich gleichen sich auch die Symptomatiken bei vielen Kindern - mehrmals habe ich erlebt, wie gleichaltrige Freunde meines Kindes wie von Magie geleitet, zu einer gewissen Zeitspanne alle plötzlich gleichzeitig anhänglich oder aggresiv waren oder Stimmungsschwankungen hatten.


Autonomiephase, Wackelzahnpubertät...


... nicht umsonst kennen wir alle diese Begriffe. Wir alle müssen da durch - aber wir alle werden unterschiedlich in der Intensität, im genauen Zeitpunkt und in der Dauer dieser Phasen betroffen sein. Und diese Erkenntnis, macht einen großen Unterschied! Denn sie nimmt Druck raus, sie nimmt den Wettbewerbsgedanken und die Vergleichbarkeit.

Vielleicht einigen wir uns alle einfach zuküntig darauf:


Es ist alles eine Phase - die in etwa 20 Jahren enden wird!

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